Zwangsarbeiter Geschichte

     






Jüdisches Forsteinsatzlager in Kersdorf
Zwangsarbeiter und Lager in Briesen und Umgebung

Zusammenfassung aus den Archivdokumenten


Ein Briefumschlag des „Jüdischen Forsteinsatzlagers in Kersdorf“ an die „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland, Fachgebiet Landwirtschaft,“
vom 17. 07. 1941 ist ein Zeitdokument aus den Internierungslagern in Kersdorf
bei Briesen (Mark). Dieser Briefumschlag wurde der Ortschronik (von Herrn Baer) vorgelegt.

Die Reichsvereinigung der Juden war die Nachfolgeorganisation der „Reichsvertretung der Deutschen Juden“ und wurde von den Machthabern im Juni 1939 übernommen und kontrolliert. Ihr Hauptsitz war in Berlin-Charlottenburg, Kantstraße 158. Alle Personen, die nach den „Nürnberger Gesetzen“ als Juden galten, wurden zwangsweise eingegliedert, registriert und mußten Pflichtbeiträge entrichten. Anfangs verhalf die „Reichsvereinigung der Juden“ ihren Mitgliedern zur Flucht aus Deutschland, später mußten Deportationen mitorganisiert werden. Alle Weisungen der nationalsozialistischen Machthaber mußten ab 1939 bedingungslos umgesetzt werden. Alle Juden wurden registriert und jüdische Geldvermögen eingetrieben, gleichzeitig wurden davon jüdische Einrichtungen, Schulen und die Wohlfahrtspflege bezahlt, aber auch Liegenschaftsübertragungen und die Deportationskosten. Die SS unter Hauptsturmführer Fritz Wöhrn hatte die sogenannte Dienstaufsicht über die „Reichsvereinigung der Juden“.
Am 10.06.1943 wurde die „Reichvereinigung der Juden“ endgültig aufgelöst, das Vermögen beschlagnahmt und die jüdischen Funktionäre deportiert. (allgemein)

In Kersdorf waren jüdische Lager zur Zwangsarbeit vermutlich ab 1939/1940 eingerichtet.

Die Juden in Kersdorf waren in den Sälen der Gasthöfe Gruschke und Schulz, sowie in den Stallgebäuden der Kersdorfer Mühle untergebracht. Dieses Kersdorfer Lager war dem KZ Sachsenhausen angegliedert. Anfangs arbeiteten sie in der Landwirtschaft, später im Forst. Hier wurden Harz gewonnen, Bäume gerodet und neue Wälder gepflanzt. Ein Waldstück zwischen Autobahn und Beeskower Straße wurde später als „Judenwald“
(Flur 1 Flurstück 90) bezeichnet. Die Säle der Kersdorfer Gasthäuser waren vergleichsweise groß und konnten auch hundert Menschen notdürftig beherbergen. (Ortschronik Briesen)

Aus dem Nationalarchiv der USA geht hervor, daß am 19.04.1943 mit dem
„37. Osttransport“ insgesamt 668 Juden nach Auschwitz transportiert wurden. Darunter waren 53 Personen aus dem Forsteinsatzlager Kersdorf und eine Person aus Briesen.
Dieser Transport erreichte das Vernichtungslager am 20.04.1943.
Am 16.06.1943 ging der „91. Alterstransport“ nach Theresienstadt, in dem sich 4 Personen aus dem Forstlager Kersdorf befanden. (Nationalarchiv USA)

Wie viele Juden insgesamt in Kersdorf untergebracht und gesammelt wurden, läßt sich nicht feststellen. Bis 1944 wurden im Umland die kleineren Lager aufgelöst und in Kersdorf zentralisiert. Von Kersdorf aus wurden die Menschen endgültig in die Vernichtung transportiert.
(Ortschronik Briesen)

So waren 20 jüdische Mädchen, zwischen 18 und 25 Jahren, im Gasthof von Emil Gruschke in Kersdorf 1943 untergebracht, die in der Briesener Batteriefabrik „Zeiler“ arbeiten mußten. Später wurden sie im Hüttenviertel untergebracht und waren ab Weihnachten 1944 nicht mehr im Ort. Später wurde berichtet, daß die Mädchen im KZ Theresienstadt getötet wurden. In „Zeilers Batteriefabrik“ in Briesen wurden große Batterien für die Wehrmacht hergestellt. Neben den jüdischern Mädchen waren auch Frauen und Mädchen aus der Ukraine und Armenien als Zwangsarbeiterinnen bis Ende 1944 eingesetzt.

Italiener waren ebenfalls als Zwangsarbeiter untergebracht, auf dem Gelände des alten „Jeske-Sägewerks“ in Holzbaracken. Außerdem wurden bereits 1940 französische Kriegsgefangene auf dem Grundstück „Henseler“ hinter der Getreidemühle untergebracht. Sie wurden auf Bauernhöfen eingesetzt und vergleichsweise „milde“ behandelt. Davon gibt es einige Fotos, die etwa 35 uniformierte Franzosen, aus Stalag III b, am 1. Dezember 1942 zeigen. (Erinnerungen von Frau Pape)

Zeitzeugen berichteten, daß im Frühjahr 1943 Juden aus Berlin nach Kersdorf kamen und später in die Konzentrationslager abtransportiert wurden. Der Sprecher dieser Gruppe hieß Herr Salomon und sagte zur Verabschiedung an die Gastwirtin des Hauses,
Frau Charlotte Gruschke: „Aus Auschwitz kommt niemand wieder zurück.“
Eine Frau und zwei Männer überlebten aber das Vernichtungslager und kehrten im August 1945 nach Kersdorf zurück. Sie blieben ein paar Tage bei den Gastleuten Gruschke und zogen danach weiter nach Berlin. Nach Zeitzeugen überlebten nur drei Menschen, die als Juden in Kersdorf untergebracht waren, das Vernichtungslager.

Der Gastwirt Emil Gruschke starb bereits 1944 und hinterließ seiner Frau Charlotte und seinem Sohn Emil junior die Wirtschaft. Charlotte versteckte in den letzten Kriegstagen zwei Zwangsarbeiterinnen aus der Ukraine, die vorher bei einem Bauern in Kersdorf untergebracht waren und nun schutzlos durch den Ort irrten. Beide Frauen überlebten den Krieg in Gruschkes Obhut. (Erinnerungen von Herrn Gruschke junior)

Im Internet sind die Geschwister Edith und Hans Oppenheim aus Falkenhagen benannt, die im Arbeitslager „Forstlager Kersdorf“ untergebracht waren. Nach ihrem Abtransport nach Auschwitz verliert sich ihre Spur. Auch sie überlebten vermutlich nicht das Vernichtungslager der Nazis. (www.synagoge-petershagen.de)

Von den Brüdern Alfred und Rudolf Robert, damals 23 und 28 Jahre alt, ist ein Foto vier Wochen vor ihrer Deportation im Lager Kersdorf gemacht worden.
(aus dem Gedenkbuch Stadt Wuppertal)

Lore Weinberg (später verh. Shelley) hat ihre Geschichte aufgeschrieben. Als ihre jüdische Schule in Berlin im Mai 1941 geschlossen wurde, kam sie ins Lager nach Kersdorf. Sie mußte bei Bauern, in dem Forst und in der Fabrik arbeiten. Dann wurde sie nach Auschwitz transportiert, wo sie am 20.04.1943 eintraf.
(Dr. Lore Shelley, San Francisco, USA)

Bürgermeister und Amtsvorsteher in Briesen waren ab 1933 Herr Kobbus, in Kersdorf Herr Saarmann. Im gesamten Kreis Lebus 1933 wurden 104.593 Einwohner gezählt. Darunter 363 Juden. Im Jahre 1939 waren es insgesamt 105.080 Einwohner, darunter 194 Juden.

Weitere Lager für Juden und Zwangsarbeiter gab es auch im Umland von Briesen und Kersdorf.

In Jacobsdorf waren Juden für die Zwangsarbeit in einer Kate vom „Gabkeschen Haus“, dem Grundstück des Bauern Herrmann Heidenreich untergebracht. Die Insassen wurden meist für schwere Holzarbeiten und Forstpflanzungen in der Nähe von Treplin und Jänickendorf eingesetzt. Auch die evangelische Kirche in Jacobsdorf und einzelne Bauern profitierten von den Zwangsarbeitern. Hans Heilborn überlebte seine spätere Deportation ins KZ Theresienstadt und konnte als Zeitzeuge berichten. Ein anderer Zeitzeuge ist Gerhard Beck, der im Sommer 1943 im Lager war. (Ortschronik Briesen)
Ein Insasse wurde 1944 ins KZ Monowitz und Auschwitz geschickt. Ein Brief ist erhalten, in dem das Schicksal dieser Menschen bezeugt ist. Namentlich ist das Ehepaar Alexander als Insassen erwähnt. Herr Muckelberg senior unterstützte die jüdischen Insassen mit Lebensmittel und beherbergte illegal für kurze Zeit einen Herrn Marschall. (Fundus Herr Muckelberg)

Ein größeres Lager befand sich am linken Ortseingang von Madlitz. Dort waren Frauen und Kinder meist aus der Ukraine untergebracht. Als Zwangsarbeiterinnen wurden die Frauen und Mütter auf dem Gut der Finckensteins eingesetzt, während die Kinder sich tagsüber selbst überlassen wurden. (Ortschronik Briesen)

Im Jahre 2012 entdeckten Briesener Einwohner auf einem Dachboden in Kersdorf alte Karteikarten aus dem Jahr 1943 und 1944. Es sind polizeiliche Meldekarteien für Kriegsgefangene, die meist aus Holland und Frankreich, aber auch aus Rußland stammten und in Lagern in Berlin Spandau und Staaken interniert waren. Bis heute ist nicht bekannt, warum diese Registrierkarten in Kersdorf lagerten und ob diese Menschen nach Kersdorf oder Briesen zur Zwangsarbeit verlegt wurden.
Folgende Namen wurden gefunden und entziffert:

Sina Ohorochdina, 1926 geboren in Stalino, Rußland
Jan Ogtrop, 1920 geboren in Holland
Bertin van Beelen, 1922 geboren in Gravenhage, Holland
Antonius Harkx, 1923 geboren in Den Haag, Holland
Jarulinus Böllermann, 1922 geboren
Jean Bean, 1908 geboren in St.Olyce, Frankreich
Jean Begin, 1910 geboren in Couladon, Frankreich
Andre Bazin, 1920 geboren in Channe, Frankreich
Ernest Beauchet, 1901 geboren in Chenalle, Frankreich
Stanislav Hlach, 1920 geboren in Plaben, Protekt
Weiter Karteikarten waren zum Teil zerfallen oder konnten nicht gefunden werden.
(Ortschronik Briesen)


Der Ort Briesen wurde geographisch für den Transport von Zwangsarbeitern wichtig, da es hier die Eisenbahnlinie mit einen Bahnhof gibt.

1938 begann die Planung einer Produktionsanlage für chemische Giftstoffe in Falkenhagen. Das sogenannte „Seewerk“ war ursprünglich das Schloßgelände in Falkenhagen. Über 3000 ha Waldgebiet wurde für die Wehrmacht gekauft und das alte Schloß gesprengt. Wegen der Geheimhaltung sollten keine Landmarkierungen vorhanden sein. 12.000 Zwangsarbeiter bauten innerhalb von 3 Jahren ein unterirdisches Werk mit 5 Etagen in die Erde von Falkenhagen. Dafür benötigte man einen neuen Gleisanschluß zwischen Briesen und Falkenhagen sowie neue Rangierstellen. 1940 begann der Bau der 14 km langen Bahnstrecke. Ein zweiter und überdachter Umschlagbahnhof von 120 Meter Länge entstand in Briesen, wo sich heute der Bahnparkplatz befindet. Die eingleisige Strecke führte direkt durch Waldgebiet über Madlitz nach Falkenhagen. Die Züge fuhren dort komplett in die unterirdische Fabrikanlage. Menschen und Material transportierte man nun in großer Anzahl mit der Eisenbahn direkt in die unterirdische Fabrik. Nicht nur Zwangsarbeiter wurden dort eingesetzt, sondern auch Leute aus Frankfurt a.O., Fürstenwalde, Briesen und Madlitz benutzten regelmäßig den Zug zwischen Briesen und Falkenhagen. 1943 begann die Produktion von „N-Stoff“ für die „IG-Farben“. Zur Tarnung erhielt das Werk in Falkenhagen die Anschrift: „Turon GmbH Briesen“, wurde später in „Monturon“ umbenannt. Da die Sarinproduktion in Dyhernfurt ab 1943 nicht mehr sicher vor Bomben war, plante man die Produktion von Sarin II in Falkenhagen. Sarin war ein Gift zur Tötung von Menschen. 1,5 Gramm reichte für die Tötung eines Menschen aus. In Falkenhagen sollten 500 Tonnen monatlich produziert werden. Die SS übernahm 1944 das gesamte Werk und begann mit dem Bau einer Fabrikerweiterung. Ab Sommer 1945 sollte die Sarinproduktion in Falkenhagen beginnen.
Der Kriegsverlauf änderte die Pläne schnell, denn die Front rückte näher und im Februar 1945 wurde das Werk in Falkenhagen demontiert. 60 Güterwagons und 5 Kesselwagen rollten von Falkenhagen nach Bayern. Als die russische Armee Ende April 1945 das Werk erreichte, war die unterirdische Anlage mit 18.000 Quadratmetern Fläche bereits geräumt. Als Reparationsleistungen übernahmen die Sowjetunion große Mengen an Baumaterialien und Ausrüstungsgegenstände aus dem Falkenhagener Werk. Im September 1946 baute man auch die Gleisanlage zwischen Briesen und Falkenhagen komplett ab und transportierte sie nach Osten. Der Verladebahnhof in Briesen wurde zur Getreidemühle umgebaut. Über das Schicksal der 12.000 Zwangsarbeiter, die das riesige Bunkerwerk in Falkenhagen bauten, ist hingegen nur wenig bekannt.
(Ortschronik Briesen)


Die Geschichte der Jüdischen Zwangsarbeiter und ihrer Vernichtung, die Geschichte der Kriegsgefangenen und Deportierten ist für Briesen, Kersdorf und Umgebung noch nicht endgültig aufgearbeitet. Viele Dinge wissen die Chronisten nur aus Berichten und von Zeitzeugen, viel wurde vergessen und nach dem Ende des Krieges auch viel verdrängt.
Es finden sich aber auch heute noch Briefe, Dokumente und sogar Fotos aus dieser Zeit, die Zeugnis abliefern.

R. Kramarczyk – Ortschronik Briesen (Mark) – 2013